Saturday, November 25, 2006

bärlach

er stand unbeweglich und erwartete den feind, der gekommen war, ihn zu töten. sein auge bohrte sich in den ungewissen ausschnitt der türe. er wartete. alles war still, leblos. dann schlug die uhr im korridor: drei. er horchte. leise hörte er von ferne das ticken der uhr. irgendwo hupte ein automobil, dann fuhr es vorüber. leute von einer bar. einmal glaubte er, atmen zu hören, doch mußte er sich getäuscht haben. so stand er da, und irgendwo in seiner wohnung stand der andere, und die nacht war zwischen ihnen, diese geduldige, grausame nacht, die unter ihrem schwarzen mantel die tödliche schlange barg, das messer, das sein herz suchte. der alte atmete kaum. er stand da und umklammerte die waffe, kaum daß er fühlte, wie kalter schweiß über seinen nacken floß. er dachte an nichts mehr, nicht mehr an gastmann, nicht mehr an lutz, auch nicht mehr an die krankheit, die an seinem leiben fraß, stunde um stunde, im begriff, das leben zu zerstören, das er nun verteidigte, voll gier zu leben und nur zu leben. er war nur noch ein auge, das die nacht durchforschte, nur noch ein ohr, das den kleinsten laut überprüfte, nur noch eine hand, die sich um das kühle metall der waffe schloß. doch nahmer endlich die gegenwart des mörders anders wahr, als er geglaubt hatte; er spürte an seiner wange eine ungewisse kälte, eine geringe veränderung der luft. lange konnte er sich das nicht erklären, bis er erriet, daß sich die türe, die vom schlafzimmer ins eßzimmer führte, geöffnet hatte. der fremde hatte seine überlegung zum zweiten male durchkreuzt, er war auf einem umweg ins schlafzimmer gedrungen, unsichtbar, unhörbar, unaufhaltsam, in der hand das schlangemesser. bärlach wußte nun, daß er den kampf beginnen, daß er zuerst handeln mußte, er, der alte, todkranke mann, den kampf um ein leben, das noch ein jahr dauern konnte, wenn alles gut ging, wenn hungertobel gut und richtig schnitt.

by dürrenmatt - der richter und sein henker

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